Hatte Walter Gropius das so gewollt?
Die Gropiusstadt in Berlins Südosten ist nach ihm benannt, auch die Gropius-Passagen und das Gropiushaus, die sich in der Großwohnsiedlung befinden. Walter Gropius, der berühmte Bauhaus-Architekt, ist also Namensgeber des Neuköllner Stadtteils. Der Verantwortliche sozusagen. Doch wie viel Gropius steckt tatsächlich in den Hochhäusern?
Direkt vor einem Feld, dem Mauerstreifen und Brandenburg erhebt sich die Satellitenstadt mit riesigen Hochhäusern. Ich befinde mich auf dem Dörferblick, von dem aus ich die Gropiusstadt am Rande Berlins sehen kann. Es sieht schon irre aus, wie sich die Häuser da auftürmen. Und von wegen langweiliger Plattenbau, die Gebäude zeugen von architektonischer Vielfalt.
Hast du schon Lust, dich in das Abenteuer zu stürzen und die Hochhäuser aus der Nähe zu sehen? Ich auch, aber bleib noch mit mir sitzen, jetzt zücken wir erst mal brav das Geschichtsbuch. Ihre Geschichte macht die Gropiusstadt noch viel interessanter.
Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg
Es waren nicht nur die zerstörten Wohnungen, die für Wohnungsnot sorgten, denn dann hätte man sie ja einfach wieder aufbauen können. Man wollte weg von der dichten Bebauung und den dunklen, elenden Hinterhöfen in der Innenstadt. Die Lösung: Neue Wohnungen am Stadtrand bauen! Das Brachland, das zwischen Britz, Rudow und Buckow lag, schien der ideale Ort zu sein, schon allein wegen der Nähe zur Hufeisensiedlung. Was? Natürlich, über die Hufeisensiedlung reden wir ein anderes Mal, versprochen.
Auf dieser Freifläche wollte man eine Großsiedlung für viele Menschen bauen und dafür beauftragte man den berühmten Bauhaus-Architekten Walter Gropius. Er plante eine schöne, lichte Siedlung mit viel Grün und Platz. Und die wurde gebaut und Gropiusstadt genannt und alle lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Ende der Geschichte, oder? Natürlich nicht! Ich blättere mit gewichtiger Miene eine Seite im imaginären Geschichtsbuch um.
Der Bau der Berliner Mauer veränderte die Pläne drastisch
1962 wurde der Grundstein für die Satellitenstadt gelegt, doch im Jahr zuvor entstand ein anderes Bauwerk, das dem geplanten Bauvorhaben von vornherein etliche Striche durch die Rechnung machte (und nicht nur ihm): die Berliner Mauer. Auf einmal kam man am Reißbrett ordentlich ins Schwitzen, denn es wurde ganz schön eng auf dem Acker. Gropius hatte eigentlich weite Grünflächen und Parks geplant, doch nun musste eine andere Lösung her. Wo vorher noch maximal fünfgeschossige Gebäude stehen sollten, musste nun aufgestockt werden. Verdichten musste man auch, und so wurden die Hochhäuser in der Planung enger aneinandergerückt.
Trotz der notgedrungenen Planungsänderungen, bei denen er nicht allzu viel mitreden durfte, war Walter Gropius bei der Grundsteinlegung am 7. November 1962 dabei. Ansonsten lebte er in den USA und verfolgte von dort aus, was aus seiner Großsiedlung wurde. Sah, wie andere Architekten ebenfalls beauftragt wurden, sich am Bau der Siedlung zu beteiligen.
Die Benennung der Satellitenstadt nach ihm bekam Walter Gropius nicht mehr mit
Das Ideal-Hochhaus ist aus der Ferne zu sehen. Stolz ragt es in den Himmel. Kein Wunder, denn es ist das höchste Wohnhaus in Berlin und es ist so, wie Gropius es entworfen hatte. Das Richtfest 1968 sollte sein letzter Besuch in der entstehenden Plattenbausiedlung sein. Damals trug sie noch den Namen Großwohnsiedlung BBR (Britz-Buckow-Rudow). Ich nehme dich mal mit zum Ideal-Hochhaus, denn es sieht aus der Nähe viel imposanter aus.
Wenn ich vor dem 31-stöckigen Hochhaus stehe und in die Höhe blicke, wird mir fast schon schwindelig und in den folgenden Minuten hat die Kamera keine Ruhe. Ein wenig frustriert, weil ich mich nicht rein traue, zücke ich eben wieder das imaginäre Geschichtsbuch und räuspere mich bedeutungsvoll.
Am 5. Juli 1969 verstarb Walter Gropius. Mit dem Bau des halb runden Gropiushauses fing man erst 1972 an. Sein Bau war eine Hommage an ihn und bei der Grundsteinlegung bekam die Gropiusstadt auch ihren Namen. Der halbrunde Wohnblock hat einen grün bewachsenen Innenhof mit Brunnen. Leider stillgelegt, weil er wohl zu laut war. Als ich dort bin, höre ich leise im Hintergrund das Stimmengewirr und Geschirrgeklapper der Bewohner*innen durch die offenen Fenster. Eine ungewöhnliche Geräuschkulisse und Atmosphäre.
1975 wurde die Gropiusstadt fertiggestellt, danach wurde sie erst mal zu einem sozialen Brennpunkt
Ende der 70er Jahre bis zur Wende erlebte die frisch gebackene Großsiedlung schreckliche Jahre. Viele Sozialwohnungen, fehlende Infrastruktur, die man bei der Verdichtung irgendwie vergessen hatte, und viele trostlose, dunkle Ecken ließen das anfangs beliebte Viertel ziemlich schnell in Verruf geraten. Es ist der Ort, an dem Christiane F., Autorin des Buches „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, aufwuchs.
Den schlechten Ruf ist die Gropiusstadt nie ganz losgeworden. Trotzdem wirkt alles anders, als ich tatsächlich hier bin. Inzwischen hat man bei der Infrastruktur ausreichend nachgerüstet. Probleme gibt es heute zwar noch immer, aber auch viele Lösungen. Eine Aufwertung hat stattgefunden; ein Quartiersmanagement kümmert sich seit über 15 Jahren um den Kiez. Es gibt so einige Anwohner, die hier nicht mehr weg wollen.
Und hey, die Häuser des berühmten Bauhaus-Architekten stehen einfach so da rum, eine riesige Architekturausstellung unter freiem Himmel, die bewundert werden will.
Willst du mehr Bilder aus der Gropiusstadt sehen? Das kann ich gut verstehen, hier kriegst du mehr: eine ganze Diashow!
Willst du mehr über die Gropiusstadt wissen? Die Berliner Zeitung berichtet in diesem Artikel über ein neues Hochhaus, das gerade in der Gropiusstadt entsteht. Schon etwas älter, dennoch bietet dieser Video-Bericht einen ausführlichen Einblick in das Leben der Bewohner der Gropiusstadt.
Aber am besten gehst du bei deiner nächsten Berlin-Tour selbst los und erkundest die Gropiusstadt auf eigene Faust. Was meinst du?
Nächstes Mal nehme ich dich aber erst mal ins Salvador-Allende-Viertel mit.